Täglich werden siebzig Flugzeuge vom Blitz getroffen. Dies ist kein Kriegsbericht, sondern eine gängige Statistik der zivilen Luftfahrt: Der Blitz trifft das Flugzeug, heftet sich an ein Ende und bleibt dort etwa eine Sekunde lang, während das Flugzeug weiter durch die Luft rast. In dieser Sekunde wandert die elektrische Entladung über die Metalloberfläche, sucht sich einen Austrittspunkt, ändert ihre Intensität und heftet sich wieder an die Stelle, an der sie einen bevorzugten Weg findet.
Die Passagiere spüren nichts, da der Rumpf wie ein Faradayscher Käfig wirkt. Das Flugzeug selbst spürt es jedoch deutlich: An den falschen Stellen kann der elektrische Strom Schäden verursachen. Glücklicherweise hat uns jahrzehntelange Flugerfahrung gelehrt, wo eine Panzerung angebracht werden muss. Das Problem ist, dass die Flugzeuge der Zukunft den heutigen nicht mehr ähneln.
Bei Formänderungen reichen historische Daten nicht aus
Die Luftfahrtindustrie untersucht neue Geometrien: Flügel sind in den Körper integriert (Blended-Wing-Rumpftypen), Fachwerkflügel und Konfigurationen zur Reduzierung von Gewicht und Treibstoffverbrauch. Niemand hat je genügend Flugstunden mit diesen Konstruktionen absolviert, um zu wissen, wo der Blitz bevorzugt einschlägt. Und natürlich möchte das niemand erst erfahren, wenn der Flug bereits begonnen hat.
Carmen Guerra-Garcia, außerordentlicher Professor an MIT, erklärt es klar:
„Wir fangen an, Flugzeuge zu konstruieren, die sich stark von dem unterscheiden, was wir gewohnt sind. Wir können nicht einfach die Erkenntnisse aus historischen Daten auf diese neuen Konfigurationen anwenden, weil sie zu unterschiedlich sind.“
Das Team von Guerra-Garcia entwickelte ein physikalischer Ansatz, veröffentlicht am IEEE-ZugriffDas System prognostiziert, wie sich Blitze auf einem Flugzeug beliebiger Form ausbreiten. Es erstellt detaillierte Karten, die die gefährdeten Bereiche eines Flugzeugs hervorheben, noch bevor der Prototyp montiert ist.
Wie das MIT-Modell funktioniert
Das System basiert auf der Geometrie des Flugzeugs. Die Forscher simulieren die Strömungsdynamik: wie die Luft bei einer bestimmten Geschwindigkeit, Flughöhe und einem bestimmten Anstellwinkel um den Rumpf strömt. Anschließend integrieren sie ihr zuvor erstelltes Modell, das die ersten Einschlagpunkte des Blitzes vorhersagt. Darauf aufbauend beginnt die eigentliche Simulation.
Für jeden Angriffspunkt simuliert das Team Zehntausende potenzieller LichtbögenBlitze schlagen in unterschiedlichen Winkeln ein. Unzählige Blitze treffen Flugzeuge, Flugzeuge und Blitze. Das Modell berechnet, wie jeder Blitz der Luftströmung über der Flugzeugoberfläche folgt, und liefert eine statistische Darstellung: Wohin der Blitz tendenziell fließt, wo er verweilt und wo er Schaden anrichten kann. Diese Statistik wird dann in eine „maßgeschneiderte“ Zonenkarte für jedes Flugzeug umgewandelt, mit abgestuften Gefährdungsstufen.
„Wir verfügen über ein physikbasiertes Tool, das Kennzahlen wie Angriffswahrscheinlichkeit und … liefert.“ Verweilzeit„Das heißt, wie lange ein Lichtbogen an einem bestimmten Punkt stillsteht“, sagt Guerra-Garcia.
„Wir wandeln diese Messwerte in Zonenkarten um: Befindet man sich im roten Bereich, hält der Blitzbogen lange an, daher muss dieses Gebiet besonders gut geschützt werden.“
Flugzeuge und Blitze, das Gewicht des Schutzes
Nathanael Jenkins, ein Doktorand und Erstautor der Studie, trifft den Nagel auf den Kopf:
„Der Blitzschutz für Flugzeuge ist aufwändig. Die Integration von Kupfergewebe oder Metallfolie in die gesamte Struktur führt zu einem höheren Gewicht. Würden wir jeden Zentimeter der Oberfläche mit dem höchsten Schutzniveau versehen, wäre das Flugzeug zu schwer. Durch die Zonierung wird das Gewicht des Systems optimiert, um gleichzeitig größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten.“
Die derzeitigen Verkehrsflugzeuge lassen sich in folgende Kategorien unterteilen: drei HauptbereicheDie Luftfahrtindustrie klassifiziert die Bereiche nach ihrer jeweiligen Zone. Jede Zone ist klar definiert hinsichtlich der Stromstärke, die sie für die Flugzulassung aushalten muss. Die am stärksten exponierten Teile fallen in Zone 1 und benötigen einen robusteren Schutz: Metallbleche, die in die Außenhaut des Flugzeugs eingelassen sind und den Strom leiten.
Bislang wurden diese Zonen nach jahrelanger Forschung festgelegt. Fluginspektionen nach Blitzeinschlägen und schrittweise Anpassungen. Die MIT-Methode kehrt den Prozess um: nutzt Physik, um Schwachstellen zu kartieren, bevor das Flugzeug existiert.
Das Team validierte den Ansatz an einem traditionelle RohrflügelstrukturDies beweist, dass die mithilfe des physikalischen Modells erzeugten Karten mit den Ergebnissen übereinstimmen, die die Industrie über Jahrzehnte hinweg durch Verfeinerung ermittelt hat. Nun wenden sie dieselbe Methode auf neue Geometrien an: Hybridflügel und Fachwerkstrukturen.
Jenseits von Flugzeugen und Blitzen: Windkraftanlagen im Fadenkreuz
Guerra-Garcia blickt bereits über die Luftfahrt hinaus. „Über die 60 % der Schaufelverluste Das liegt an Blitzeinschlägen, und es wird sich noch verschlimmern, je weiter wir uns aufs Meer hinausbewegen, da Offshore-Windkraftanlagen noch größer und anfälliger für nach oben gerichtete Blitze sein werden.“
Windkraftanlagen, insbesondere Offshore-Anlagen, werden immer höhere Giganten. Und Höhe ist in diesem Fall ein Problem: Sie zieht Blitze an wie ein Magnet Eisen. Jüngste Experimente in Japan Sie haben Drohnen mit fliegenden Faraday-Käfigen getestet, um Blitzeinschläge abzufangen, bevor diese kritische Infrastruktur treffen. Das MIT verfolgt, wie bereits erwähnt, einen anderen Ansatz: Vorhersagen, Kartieren, Schützen.
Vertrauen in die Zukunft
„Blitze sind unglaublich und furchterregend zugleich“, sagt Jenkins. „Ich habe heute vollstes Vertrauen in das Fliegen von Flugzeugen und möchte dieses Vertrauen auch in 20 Jahren noch haben. Deshalb brauchen wir eine neue Methode zur Kartierung von Flugzeugen.“
Louisa Michael di Boeing-Technologieinnovation, Mitautor der Studie, bestätigt: „Mit physikbasierten Methoden wie denen, die in der Gruppe von Professor Guerra-Garcia entwickelt wurden, haben wir die Möglichkeit, Industriestandards zu gestalten und die Physik zu nutzen, um Richtlinien für die Flugzeugzertifizierung durch Simulation zu entwickeln. Wir arbeiten derzeit mit Branchengremien zusammen, um die Aufnahme dieser Methoden in die Aerospace Recommended Practices vorzuschlagen.“
Das Modell beseitigt Blitzeinschläge nicht. Es verhindert sie nicht und macht sie auch nicht weniger gefährlich. Aber es leistet etwas viel Praktischeres: Es zeigt genau an, wo und wie viel Kupfer benötigt wird und wie hoch die Gewichtszunahme ist. Denn ein leichteres Flugzeug verbraucht weniger Treibstoff, fliegt weiter und verursacht weniger Umweltverschmutzung. Und wenn die Physik aufzeigt, wo Schutz nötig ist und wo nicht, kann die Industrie Gewicht sparen, ohne Menschenleben zu riskieren.
Auch zukünftige Flugzeuge werden getroffen werden, genau wie die heutigen: Doch selbst jene mit ungewöhnlichen Flügeln und nie zuvor gesehenen Formen werden wissen, wo sie mit einem Treffer rechnen müssen. Und wie sie ihn abwehren können.